„ʇɥǝɹp sɐʍ ɥɔıs ssɐp ‚unʇ nzɐp sɐʍ uuɐʞ ɹǝpǝظ“
Manfred Willi Reichert bezieht in seiner ersten von zwei Einsendungen zufällig Vorbeischlendernde in die Drehbemühungen ein.
Eine Kunstaktion
Elena Raulf aus Hamburg hat uns drei Entwürfe geschickt. Heute stellen wir den ersten vor, in dem die Künstlerin die Drehung um 360° mittels einer Kamerafahrt verwirklichen und dokumentieren möchte.
Der erste Entwurf nimmt Bezug auf die geographische Lage des sogenannten Nabels in der Göttinger Altstadt. Eine Figur trägt einen mittelalterlichen Hut, auf dessen Krempe eine Miniatureisenbahn (Brockenbahn?) im Kreis fährt und den Rundumblick durch eine auf ihr befestigte Kamera dokumentiert.
Die nächste Einsendung, die wir präsentieren, ist ein animiertes GIF von Jochen Schülpke aka kjs Yip, der uns dazu schreibt:
„Es sind die Tänzer, die sind Schuld, da kann sich ja nix bewegen, wenn die nicht mitmachen. Hab mal welche aus meinem virtuellen Fundus geholt, die können das!“
Die erste Einsendung kommt von Frank Lepold, einem Künstler aus Offenbach.
Damit sich das Projekt „Göttingen um 360° drehen“ nicht bis in alle Ewigkeit hinläppert, wurde jetzt der 15. Oktober als Einsendeschluß festgelegt. Ausnahmen sind aber möglich.
Göttingen um 360° drehen – mit bloßen Händen klappt das nicht. Das mußten die Aktivisten der PARTEI einsehen, als sie es im Juni bei strömendem Regen einmal probiert haben: Nichts bewegte sich. Gebraucht wird eine geeignete Vorrichtung (Maschine, Apparatur, Tretmühle – was weiß ich denn?), die am Nabel angebracht wird und mit deren Hilfe das Drehen bewerkstelligt werden kann.
Und hierbei ist der Einfallsreichtum der Freundinnen und Freunde des Göttinger Drehwurms gefragt, seien es Künstlerinnen, Künstler, Erfinderinnen, Erfinder, geniale Handwerkerinnen oder Handwerker:
Jede Einsendung (wenn sie nicht gerade das sittliche Empfinden zu arg verletzt – das müssen wir uns vorbehalten) wird hier veröffentlicht und kann von allen begutachtet und kommentiert werden. Mindestens ein praktikabler Vorschlag soll auch in einer schönen Performance in die Wirklichkeit umgesetzt werden.
Und nun : frisch ans Werk!
„Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht“, schreibt Heinrich Heine in seiner „Harzreise“. Damit wirklich alle Göttinger in den Genuß dieses schönsten aller Anblicke kommen, soll die Stadt mindestens einmal um 360° gedreht werden, und zwar um den „Nabel“, den Mittel-, Stand-, Dreh-, Angel- und Pluspunkt Göttingens.
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Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover, und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach heißt »die Leine«, und dient des Sommers zum Baden; das Wasser ist sehr kalt und an einigen Orten so breit, daß Lüder wirklich einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hinübersprang. Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht. Sie muß schon sehr lange stehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie schon dasselbe graue, altkluge Ansehen, und war schon vollständig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Dissertationen, Teedansants, Wäscherinnen, Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden, Promotionskutschen, Pfeifenköpfen, Hofräten, Justizräten, Relegationsräten, Profaxen und anderen Faxen. Einige behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner Mitglieder darin zurückgelassen, und davon stammten all die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen, Sachsen, Thüringer usw., die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis, und geschieden durch Farben der Mützen und der Pfeifenquäste, über die Weenderstraße einherziehen, auf den blutigen Walstätten der Rasenmühle, des Ritschenkrugs und Bovdens sich ewig untereinander herumschlagen, in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben, und teils durch ihre Duces, welche Haupthähne heißen, teils durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches Comment heißt und in den legibus barbarorum eine Stelle verdient, regiert werden.
Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläufig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der Göttinger Philister muß sehr groß sein, wie Sand, oder besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.
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aus: Heinrich Heine, Die Harzreise, Hoffmann & Campe, Hamburg 1826